
Berlin – Unfallforscher rechnen nicht damit, dass die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland in den nächsten Jahren deutlich sinkt. „Die Zahlen sprechen für sich: Es gibt keine wirkliche Verbesserung“, sagt Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Nach vorläufigen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes wird die Zahl der Verkehrstoten in diesem Jahr auf dem Vorjahresniveau bleiben. 2023 gab es 2.839 Todesopfer auf deutschen Straßen – das sind durchschnittlich acht Menschen pro Tag.
Die Bundesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 im Rahmen der „Vision Zero“ die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu reduzieren. Doch davon sei man noch weit entfernt, sagt Zeidler. Ihrer Einschätzung nach hängt die Sicherheit oft von den Verkehrsteilnehmern selbst ab. „Das eigene Können wird überschätzt – Gefahren hingegen unterschätzt“, erklärte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Wachsende Aggression im Straßenverkehr
Auch das Aggressionspotenzial auf deutschen Straßen habe zugenommen. So zeige eine Befragung der Unfallforschung der Versicherer von 2023, dass „jeder Zweite angibt, seine Aggressionen im Straßenverkehr sofort wieder abzubauen“ – etwa durch Regelverstöße, dichtes Auffahren oder riskantes Überholen. Die Bereitschaft, Verkehrsregeln zu brechen, werde zudem durch das Gefühl des „Nicht-Erwischt-Werdens“ gefördert. Zeidler fordert daher mehr Kontrollen und härtere, aber gerechte Strafen: „Punkte in Flensburg sind für viele Delikte ein besseres Strafmaß als Bußgelder.“
Die Verantwortung für mehr Verkehrssicherheit liege jedoch nicht allein bei den Fahrenden. „Verkehrstote gehen uns alle an“, betont Zeidler und spricht dabei auch die Städte- und Verkehrsplaner sowie Fahrzeughersteller an. Besonders kritisch sei die Situation auf Landstraßen, wo die meisten tödlichen Unfälle passieren. Eine gut durchdachte Infrastruktur sei auf ländlichen Straßen unerlässlich, um Leben zu retten. Trotz bereits eingeführter Maßnahmen wie Leitplanken und punktuelle Tempolimits, seien viele Landstraßen nach wie vor zu gefährlich.
In den Städten sei es vor allem wichtig, die Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer zu verbessern. Zeidler verurteilt die zunehmende Problematik durch zugeparkte Kreuzungen und Zufahrten. Hier benötige es mehr Angebote, um sicher über Straßen zu kommen, wie gut ausgebaute Radwege oder getrennte Ampelphasen.
Alarmierende Unfallstatistiken
Die Entwicklungen im Straßenverkehr sind alarmierend. Laut den endgültigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Verkehrstoten im Jahr 2023 auf 2.839 gestiegen, was einen Anstieg von 1,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Pro Tag wurden somit im Jahr 2023 durchschnittlich acht Menschen auf deutschen Straßen getötet. Die Polizei verzeichnete insgesamt 2,5 Millionen Verkehrsunfälle, was einer Zunahme von 4,7 Prozent gegenüber 2022 entspricht.
Bei den Unfällen mit Personenschaden wurden im vergangenen Jahr 366.557 Menschen verletzt. Dies entspricht einem Anstieg von 1,5 Prozent. Während die Zahl der Schwerverletzten um 8,4 Prozent sank, zeigen die Zahlen, dass der Corona-Effekt aufgebraucht ist und die Unfallzahlen wieder steigen. Ein Drittel der tödlichen Verkehrsunfälle auf Landstraßen ereignete sich aufgrund von Geschwindigkeitsüberschreitungen, so Zeidler.
Kirstin Zeidler hebt hervor, dass dringend Handlungsbedarf besteht, insbesondere in Bezug auf die Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer, da der Verkehr insgesamt gefährlicher wird. „Die Zahlen zeigen, dass es notwendig ist, die Infrastruktur für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer dringend zu verbessern“, sagte sie. Verbesserungen wie mehr Mittelinseln, Zebrastreifen und Ampeln an stark frequentierten Überquerungen wären eine Möglichkeit, um die Sicherheit zu erhöhen.