
Mehr als 60 Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland haben angekündigt, die Plattform X (ehemals Twitter) zu verlassen oder diesen Schritt bereits vollzogen. Der Rückzug ist das Ergebnis wachsender Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Plattform mit den Grundwerten der Hochschulen, die Weltoffenheit, wissenschaftliche Integrität, Transparenz und demokratischen Diskurs fördern wollen. Zu den betroffenen Institutionen zählen unter anderem die BTU Cottbus-Senftenberg, die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Auch die Universität Potsdam schloss nach 13 Jahren ihren Account auf X, was die Kritik an der Plattform zusätzlich verstärkt.
Die Entscheidung vieler Hochschulen, die Plattform zu verlassen, wurde durch die Wahrnehmung beeinflusst, dass Bedingungen für einen offenen und respektvollen Austausch nicht mehr gegeben seien. Laut Silke Engel, Sprecherin der Universität Potsdam, führte insbesondere ein veränderter Algorithmus dazu, dass die Hochschule weniger aktiv war und die Verbreitung von Informationen eingeschränkt wurde. Wissenschaftler beklagten sich zudem über die Zunahme von Beleidigungen und Falschinformationen, die unter dem vermeintlichen Deckmantel der Meinungsfreiheit auftraten.
Wachsende Bedenken und verstärkte Kritik
Die Hauptkritik an der neuen Plattformausrichtung, nachdem Elon Musk Twitter im Jahr 2022 übernommen und in X umbenannt hat, fokussiert sich auf dessen mangelndes Vorgehen gegen Desinformation und Hassrede. Insgesamt sind über 50 Hochschulen in Deutschland dazu übergegangen, X als Kommunikationsmedium abzulehnen, um sich von den zunehmenden rechtsextremistischen Positionen und der Verbreitung von Falschinformationen zu distanzieren. Auch Gewerkschaften wie Verdi und GEW haben am selben Tag ihre Accounts auf X geschlossen und die Plattform als untragbar kritisiert.
Diese Entwicklungen führen nicht nur zu einer kritischen Neubewertung von X, sondern werfen auch größere Fragen zu sozialen Medien und ihrer Rolle in der Wissenschaftskommunikation auf. Wissenschaftliche Akteure stehen zunehmend vor der Herausforderung, mit Plattformen zu interagieren, die möglicherweise antiaufklärerische und manipulierte Inhalte fördern. Viele Hochschulen berichten von einem Rückgang der Erreichbarkeit und des Engagements, was ihre Entscheidung weiter beeinflusste.
Umdenken in der Wissenschaftskommunikation
Der Rückzug von über 60 Hochschulen von X ist Teil eines umfassenderen Trends, der die Notwendigkeit einer Neuausrichtung in der Wissenschaftskommunikation verdeutlicht. Hochschulen betonen ihren Einsatz für faktenbasierte Kommunikation und den Widerstand gegen antidemokratische Kräfte. Während die Institutionen ihren Fokus auf andere soziale Netzwerke verlagern wollen, bleibt unklar, wie sie mit Plattformen des Meta-Konzerns, wie Facebook und Instagram, umgehen werden. Viele Hochschulen stehen vor der grundsätzlichen Frage, ob und wie sie auf sozialen Medien präsent sein können, während die Diskussionen über Wissenschaftsthemen in diesen Netzwerken oft emotional geladen sind.
Angesichts der komplexen Dynamiken in der digitalen Kommunikationslandschaft, die durch neue Akteure und entstehende Polarisierungsphänomene geprägt sind, stellt sich die Frage, wie Wissenschaftler und Bildungseinrichtungen adäquat auf diese Herausforderungen reagieren können. Der Ausgang der Diskussion um die Zukunft der Wissenschaftskommunikation auf sozialen Plattformen bleibt abzuwarten, während die Rückzüge von X bereits einen entscheidenden Schritt hin zu reflektierten und verantwortungsvollen Kommunikationspraktiken darstellen.