In Nordrhein-Westfalen verzeichnet die Beratungsstelle Sekten-Info NRW in Essen einen erheblichen Andrang an Ratsuchenden – und das auch im zweiten Jahr nach den Corona-Einschränkungen. Geschäftsführer Christoph Grotepass berichtet, dass die Ängste in der Bevölkerung, ausgelöst durch Krieg, Umweltkrisen und Inflation, die Anziehungskraft von Sekten und Psychogruppen verstärken. Im Jahr 2023 wurden bereits 1.016 Anfragen und Beratungsfälle registriert, und auch für 2024 deuten erste Prognosen auf einen anhaltenden Trend hin. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg der betroffenen älteren Menschen über 50 Jahre, die oft weniger mediengewandt sind und somit anfälliger für Fehlinformationen und Verschwörungstheorien.
Immer mehr Erwachsene melden sich nicht mehr aufgrund von Sorgen um ihre Kinder, sondern um sich selbst und ihre älteren Angehörigen, was einen alarmierenden Wandel in den Beratungsanfragen widerspiegelt. Oft sind es auch unseriöse Life-Coaches, die vermeintliche Lebenshilfe und Karrierekurse zu hohen Preisen anbieten, dabei jedoch keine effektive Unterstützung bieten. Die Klienten geraten oftmals in psychische Abhängigkeit und zahlen teils fünfstellige Summen, bevor sie Hilfe suchen.
Braune Esoterik und Verschwörungsglauben
Die Verbindungen zwischen Esoterikgruppen und rechtem Gedankengut sind in der Beratung deutlich spürbar. Klienten berichten immer wieder von Rassismus und Ängsten vor einer angeblichen Islamisierung, häufig gepaart mit antisemitischen Äußerungen. Experten sprechen in diesem Kontext von „brauner Esoterik“. Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsexperte, erläutert in einem Fachtag der Evangelischen Akademie in Frankfurt, dass sich Verschwörungsglaube und Esoterik zu einer „Allianz des Misstrauens“ verbunden haben.
Pöhlmann beschreibt den Verschwörungsglauben als eine Art „Ersatzreligion“, die mit der Verbreitung von Sündenbocktheorien einhergeht. In diesem Zusammenhang wird Esoterik häufig als Quelle für umfassendes Wissen dargestellt, das nur Eingeweihten zugänglich ist. Die Anhänger nutzen diese Weltanschauung zur Verbreitung von Feindbildern und antidemokratischem Denken und überschreiten häufig die Grenzen zur Reichsbürgerszene. Diese Problematiken wurden durch die Corona-Pandemie nur sichtbarer, als viele Menschen mit einem Verlust an Kontrolle und existenzieller Verunsicherung konfrontiert waren.
Psychische Abhängigkeit und Ausstiegshilfen
Es ist eine alarmierende Entwicklung, dass immer mehr Menschen in psychische Abhängigkeiten von Sekten und Verschwörungstheorien geraten. Dies wird vor allem durch Veranstaltungen mit Geheimhaltungsklauseln und die gezielte Ansprache von Jugendlichen über soziale Medien verstärkt. Ehemalige Sektenmitglieder stehen oft vor einem Neuanfang im „Nichts“, da ihr soziales Umfeld und der strukturierte Alltag durch religiöse Verpflichtungen wegbrechen. Diese Isolation kann dazu führen, dass Freunde und Familienangehörige Aussteiger meiden und sie mit einem neuen Wertesystem alleine gelassen werden.
Die Notwendigkeit für Hilfs- und Beratungsstellen für Menschen, die aus Sekten oder problematischen Gruppen aussteigen möchten, wird immer wichtiger. Es gibt Initiativen, die Angehörige unterstützen und den Aussteigern helfen, ihr Leben neu zu strukturieren. Die Beratungsagentur Sekten-Info NRW fungiert hierbei als wichtige Anlaufstelle und zeigt einen besorgniserregenden Trend auf, der durch gesellschaftliche Ängste und die Komplexität moderner Probleme weiter angeheizt wird.
