
Der Streit um den Welfenschatz, eine bedeutende Sammlung von Kunstwerken aus dem Braunschweiger Dom, nimmt weiterhin an Intensität zu. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat Kontakt zu den Anwälten der Anspruchsteller aufgenommen, während die Beratende Kommission NS-Raubkunst erneut die SPK kontaktiert hat, um offene Fragen zu klären. Der Welfenschatz besteht aus Altaraufsätzen, Schmuckkreuzen und Schreinen, die auf das 11. bis 15. Jahrhundert datiert werden. Experten schätzen seinen Wert auf mehrere hundert Millionen Euro. Der Schatz gehörte seit Ende der 1920er Jahre einer Gruppe jüdischer Besitzer.
Eine zentrale Streitfrage betrifft die Umstände des Verkaufs eines Teils des Schatzes im Jahr 1935. Diverse Berichte stellen in den Raum, dass dieser Verkauf unter dem Druck von NS-Verfolgung und Zwang stattfand. Nachfahren der damaligen jüdischen Besitzer haben bereits 2008 Restitutionsansprüche geltend gemacht. Eine bedeutende Wende nahm der Fall 2014, als die Beratende Kommission entschied, dass der Verkauf nicht „verfolgungsbedingt“ war und keine Ansprüche der Nachfahren bestünden. Inzwischen sind jedoch neue Dokumente aufgetaucht, welche die Situation komplizierter machen.
Neue Erkenntnisse betreffen die Ansprüche
Die neuesten Dokumente belegen, dass Alice Koch, eine der Besitzerinnen, von den Nazis zur Zahlung einer erheblichen Reichsfluchtsteuer in Höhe von 1,155 Millionen Euro gezwungen wurde. Um diese Steuer zu begleichen, war Alice Koch gezwungen, einen Teil des Welfenschatzes zu verkaufen. Ihr Nachfahre hat seit 2022 Ansprüche geltend gemacht, während sich auch weitere Konkurrenten im Restitutionsprozess gemeldet haben. Die SPK ist nun im Gespräch mit drei verschiedenen Gruppen von Anspruchstellern und zeigt sich bereit, die Beratende Kommission erneut mit dem Fall zu befassen, sofern die Berechtigung der Ansprüche geklärt werden kann.
Hans-Jürgen Papier, der Kommissionschef, betont, dass die SPK verpflichtet ist, die Kommission unverzüglich zu informieren. Die Prüfung der Zulässigkeit, so Papier, sei Aufgabe der Kommission. Damit wird eine grundlegende Debatte über die Verantwortlichkeit und die juristischen Rahmenbedingungen für die Rückgabe von Kunsterbes, das während der Zeit des Nationalsozialismus geraubt wurde, angestoßen.
Der globale Kontext der Restitution
In den letzten Jahren hat die Rückgabe von Raubkunst weltweit an Bedeutung gewonnen. Internationaler Fokus liegt besonders auf der Restitution der Benin-Bronzen an Nigeria. Während der NS-Zeit wurden etwa 600.000 Kunstwerke aus jüdischem Besitz in Deutschland gestohlen, was die Notwendigkeit von klaren Rückgaberegeln unterstreicht. Kritiker fordern bereits seit längerer Zeit eine Reform der 2003 gegründeten Beratenden Kommission, die sich mit solchen Rückgaben befasst.
Aktuell dürfen von der Kommission nur Empfehlungen ausgesprochen werden, wenn die betroffenen Museen zustimmen. Kulturminister und die Kulturstaatsministerin Claudia Roth haben nun Reformen beschlossen, die eine eigenständige Initiative der Kommission ermöglichen sollen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass viele Fälle stillschweigend durch Provenienzforscher geklärt wurden, während ein Großteil der Rückgaben in der Vergangenheit als intransparent wahrgenommen wurde.
Die Herausforderungen der Restitution gehen jedoch über einzelne Fälle hinaus. Besonders die Rückgabe von Kunstwerken in Privatbesitz stellt eine Hürde dar, da für viele dieser Werke Rückgabefristen bereits verstrichen sind. Das Vertrauen in die Beratende Kommission ist durch intransparente Verfahren und nicht veröffentlichte Dokumente geschädigt worden. Eine umfassende Reform, die sowohl Transparenz als auch die rechtliche Klärung von Ansprüchen fördert, scheint daher dringend notwendig.
Der Fall des Welfenschatzes und die allgemeine Diskussion um die Restitution von NS-Raubkunst verdeutlichen die anhaltenden Herausforderungen bei der Klärung von Eigentumsverhältnissen und der Rückgabe von Kunstwerken aus jüdischem Besitz. Die Debatte über Gerechtigkeit und Aufarbeitung der NS-Zeit wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen.
Für weitere Informationen über die laufenden Diskussionen über die Restitution von Raubkunst können Sie die Berichterstattung von Weser-Kurier und Deutschlandfunk einsehen.