
Am 21. Februar 2025 wird mit der Veröffentlichung von Erich Kerns Dokumentation „Tod den Deutschen. Verbrechen am deutschen Volk 1939–1947“ ein bislang oft verdrängtes Kapitel der Geschichte thematisiert. Kern legt den Fokus auf die Verbrechen an Deutschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg und versucht, die Gräueltaten ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Der Autor, geboren als Erich Knud Kernmayr am 27. Februar 1906 in Graz, war ein österreichischer nationalsozialistischer Funktionär und rechtsextremer Publizist, dessen Schriften auch heute noch die rechte Szene anziehen. Erich Kern ist nicht nur aufgrund seiner Biografie, sondern vor allem wegen seiner kontroversen Schriften von Bedeutung, die zwischen Antisemitismus und der Verklärung der Wehrmacht oszillieren. Seine Karriere umfasst Stationen wie die Mitgliedschaft in der NSDAP, die SA und schließlich die Arbeit als Kriegsberichterstatter in der Propagandakompanie der Waffen-SS.
Kerns Dokumentation beschreibt eindrücklich die Verfolgungen der Deutschen durch die Rote Armee. Im Januar 1945, während der Großoffensive in Ostpreußen, flohen Hunderttausende von Deutschen vor der herannahenden Bedrohung in den Westen. Viele dieser Flüchtlinge starben an den extremen Temperaturen, während die sowjetische Luftwaffe sie aus der Luft beschoss. Ein verheerendes Beispiel der Grausamkeit zeigt sich in Nemmersdorf im Oktober 1944, wo Frauen und Kinder brutal vergewaltigt und ermordet wurden. Der Literaturwissenschaftler Alexander Solschenizyn thematisierte in seinem Gedicht „Ostpreußische Nächte“ die Gräueltaten der Rotarmisten. Diese Taten wurden durch die Propaganda, insbesondere die der Figuren wie Ilja Ehrenburg, weiter geschürt, der die Soldaten aufrief, Deutsche als Beute zu nehmen.
Ein vergessener Schmerz
Die Brutalität der Übergriffe war nicht auf die Ostfront beschränkt. Auch in der sowjetischen Besatzungszone kam es zu massenhaften Vergewaltigungen. Historikerin Miriam Gebhardt schätzt die Zahl der sexualisierten Gewalttaten auf insgesamt etwa 860.000 in Deutschland, wobei die Dunkelziffer wahrscheinlich erheblich höher ist. Ihre Studien legen nahe, dass während der Einnahme deutscher Städte durch alliierte Truppen, vor allem durch amerikanische und französische Soldaten, ebenfalls viele Frauen Opfer von Vergewaltigungen wurden. Im Stuttgarter Raum sind etwa 1.200 Frauen betroffen gewesen, während in den Städten Freudenstadt und Konstanz mehrere hundert Übergriffe dokumentiert wurden. Es wird deutlich, dass das Leiden der Frauen nach dem Krieg in der Geschichte oft nicht ausreichend Beachtung fand, was auch durch die Regelung von 1956 zur Entschädigung deutlich wird, die für viele von Vergewaltigungen betroffene Frauen nahezu unerreichbar war.
Ein bedeutsames Plädoyer zur Aufarbeitung dieser Geschichte ist die Dokumentation von Kern, die darauf abzielt, das Schweigen zu brechen und die Verbrechen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Der Historiker Hans Peter Duerr sprach in diesem Kontext von „vielleicht schlimmsten Massenvergewaltigungen“, was den Schock und die Dringlichkeit der Thematik unterstreicht. Die Berichte über das sog. „verdrängte Trauma“ und die seelischen Wunden der Überlebenden sind auch heute noch von Bedeutung und zeigen, wie die nationalsozialistische Propaganda tiefgreifende Ängste geschürt hat, die in den Selbstmorden vieler Frauen während und nach der Ankunft der Roten Armee mündeten.
Ein Beispiel aus der Gegenwart
Die subjektiven Erfahrungen vieler Überlebender sind noch immer zeitgenössisch. Eine Überlebende, die die Ankunft amerikanischer Soldaten in Kevelear miterlebte, erinnerte sich an die weit verbreiteten Vergewaltigungen durch die GIs. Dieses Thema fand vielmals keinen Niederschlag in der offiziellen Geschichtsschreibung, und erst in den letzten Jahrzehnten begannen Forscher wie Miriam Gebhardt, die Diskurse zu erhellen. Ihre Publikation „Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs“ thematisiert diese dunkle Geschichte und bietet den Opfern eine Stimme, die in der Vergangenheit überhört wurde.
In der Analyse von Kerns Werk, den Untersuchungen von Gebhardt und dem Schicksal der betroffenen Frauen offenbart sich ein komplexes Bild des Krieges, das weit über das von den Zeitzeugen dazu gegebene hinausgeht. Dies erfordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Rolle und dem Verhalten der bevormundenden Soldaten, die ebenfalls von brutalem Verhaltensweisen und einem System geprägt waren, das Gewalt oft legitimierte.
Durch die Integration dieser Perspektiven in den historischen Diskurs wird eine möglichst umfassende Sichtweise auf die Gräuel des Krieges gewährleistet und ein grundsätzliches Umdenken in der gesellschaftlichen Wahrnehmung angeregt.
Erich Kern, der nach dem Krieg zahlreiche rechtsextreme Publikationen herausgab und eine umstrittene Rolle in der Nachkriegsgesellschaft spielte, bietet mit seiner Dokumentation dennoch einen Anlass für die dringend notwendige Erinnerungskultur, die ein ungetrübtes Bild der Geschichte nicht zulässt. Es gilt, das Vergessen zu verhindern und die Stimme der Opfer zu bewahren. Die Geschehnisse und deren Spuren wirken bis heute fort und verlangen nach einer ehrlichen Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart.