
Die EU-Kommission plant ein umfangreiches Rüstungsprogramm im Wert von 150 Milliarden Euro, um die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken und die Unterstützung für die Ukraine sicherzustellen. Dieser Vorschlag wird möglicherweise ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments verabschiedet. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen strebt an, die parlamentarischen Verhandlungen über Artikel 122 des EU-Vertrags zu umgehen und stattdessen den Vorschlag direkt an den EU-Rat weiterzuleiten. Das Parlament würde in diesem Prozess lediglich eine beratende Rolle einnehmen. Von der Leyen rechtfertigt die Dringlichkeit des Verfahrens durch die derzeitige Sicherheitslage in Europa, die in den letzten Monaten durch Konflikte und geopolitische Spannungen geprägt ist.
Traditionell dauert der Gesetzgebungsprozess bei solchen gravierenden Themen Monate oder sogar Jahre. Dennoch hat die Kommission bereits ähnliche Dringlichkeitsmechanismen in der Vergangenheit genutzt, beispielsweise während der Energiekrise und des COVID-Wiederaufbaufonds. Ein breites Spektrum an Europaabgeordneten hat gegen dieses Vorgehen Protest eingelegt. Manfred Weber von der EVP bezeichnete den Plan als „Fehler“ und hob die Bedeutung der Demokratie hervor, während Sandro Ruotolo den Vorstoß als „Schlag ins Gesicht der parlamentarischen Demokratie“ kritisierte.
Widerstand im Parlament
Der Ausschluss des Parlaments von einem 800-Milliarden-Euro-Programm stieß auf erheblichen Widerstand unter den Abgeordneten. Roberto Vannacci von den Patrioten für Europa stellte die Notwendigkeit eines Ausnahmeverfahrens infrage. Hanna Neumann von den Grünen äußerte Bedenken bezüglich der unzureichenden Vorbereitung der Mitgliedstaaten auf die existente Sicherheitslage. Marc Botenga von der Linken erläuterte, dass der Ausschluss des Parlaments bei solch bedeutenden Ausgaben von grundlegender Bedeutung für die demokratische Kontrolle und Verantwortlichkeit sei.
Bei den Verhandlungen über das Rüstungsprogramm gibt es zusätzliche Schwierigkeiten, insbesondere hinsichtlich der Klassifizierung bestimmter Rüstungsgüter als „europäisch“. Frankreich fordert eine strikte europäische Beschaffungspolitik. Im Gegensatz dazu zeigen Deutschland und einige osteuropäische Länder eine Offenheit gegenüber dem Kauf von Waffen aus den USA. Diese Differenzen könnten die Verhandlungen zusätzlich belasten. Details zu möglichen Ausnahmen für bestimmte Produkte sind ebenfalls noch offen.
Finanzierungsstrategien und Verteidigungsausgaben
Ursula von der Leyen plant, bis zu 800 Milliarden Euro zu aktivieren, um die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten zu erhöhen. Diese Erhöhung könnte durch eine Lockerung der bestehenden Schuldenregeln erreicht werden. Von der Leyen prophezeite, dass durch eine zusätzliche Investition von anderthalb Prozent der Wirtschaftsleistung bis zu 650 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben innerhalb von vier Jahren mobilisiert werden könnten. Ein Konsens besteht darüber, dass die EU-Staaten mehr für ihre Sicherheit tun müssen, jedoch herrscht Uneinigkeit über den konkreten Umsetzungsweg.
Zusätzlich forderte der CSU-Wirtschaftspolitiker Markus Ferber, dass die Ausnahme von den Schuldenregeln an spezifische Bedingungen gekoppelt sein sollte, wie etwa die Einhaltung des NATO-Zwei-Prozent-Ziels. Insbesondere die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten variieren stark. Während Länder wie Polen und die baltischen Staaten bereits über zwei Prozent investieren, hinken Staaten wie Spanien, Italien und Belgien hinterher. Präsident Emmanuel Macron schlägt zudem vor, einen Fonds für Luft- und Raketenabwehr im Umfang von 150 Milliarden Euro einzurichten, der durch den EU-Haushalt finanziert würde.
Die Diskussion über die Finanzierung der Verteidigungsausgaben wird auch durch die unklare Unterstützung für die Ukraine weiter kompliziert. Ungarn und die Slowakei könnten die grundlegende Unterstützung für die Ukraine in Frage stellen, was angesichts der geopolitischen Spannungen zusätzliche Hindernisse für eine gemeinsame EU-Politik darstellen könnte. Der gemeinsame Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel, bei dem die Pläne zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben behandelt wurden, unterstrich die Notwendigkeit einer einheitlichen Strategie zur Stärkung der europäischen Verteidigungskapazitäten.
Ursula von der Leyen bezeichnete den Gipfel als Wendepunkt für die Sicherheit Europas, während gleichzeitig die Differenzen unter den Mitgliedstaaten deutlich wurden. Die anhaltenden Konflikte, insbesondere in Bezug auf die Ukraine, stellen eine bedeutende Herausforderung für die EU dar, die sich unter dem Druck geopolitischer Unsicherheiten bewähren muss.
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