
Wissenschaft und Politik stehen in einem engen Verhältnis, besonders wenn es um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit geht. Ein aktuelles Forschungsprojekt, das heute im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgestellt wurde, beleuchtet diese Thematik detailliert. In dem Projekt untersuchen Wissenschaftler, welche Rolle die Bundesanstalten in der Zeit des Nationalsozialismus spielten.
Initiatoren sind Professor Dr. Carsten Reinhardt von der Universität Bielefeld und Professor Dr. Dr. Helmut Maier von der Ruhr-Universität Bochum. Das Projekt wurde 2017 ins Leben gerufen und erhielt ab 2020 teilweise finanzielle Unterstützung vom BMWK. Die Untersuchung geht insbesondere der Frage nach, wie die Ressortforschungseinrichtungen zur Rüstungspolitik des Dritten Reiches und zur politischen Komplizenschaft mit dem NS-Regime beitrugen, ohne dafür nach dem Krieg zur Verantwortung gezogen zu werden. Ergebnisse des Projekts wurden in acht neuen wissenschaftlichen Publikationen gesammelt, die von der Bielefeld University Press veröffentlicht wurden.
Bedeutung der Publikationen
Sabrina Diab-Helmer, Geschäftsführerin der Bielefeld University Press, hob die Relevanz dieser Veröffentlichungen für die historische Aufarbeitung hervor. Sie unterstrich, dass die Bücher wichtige Einblicke in die Rolle von Wissenschaftlerinnen und Forschungsinstitutionen im NS-Staat bieten und deren Transformation in der Bundesrepublik beleuchten. Prof. Dr. Reinhold Decker, Rektoratsbeauftragter der Universität Bielefeld, bezeichnete die Gründung des eigenständigen Universitätsverlags als Meilenstein. Der Verlag hat sich dem Ziel verschrieben, Forschung aktiv in gesellschaftliche Diskussionen einzubringen und fördert den Zugang zu wissenschaftlicher Arbeit, insbesondere zu gesellschaftlich wichtigen Themen wie Künstlicher Intelligenz und Umweltforschung.
Einige der Einrichtungen, die sich mit ihrer NS-Vergangenheit auseinandersetzen, sind die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB). Diese Forschung, die am 1. Oktober 2020 begann, stellt den Wissenschaftlern Fragen zu ihrem Verhalten während des Nationalsozialismus und ihrer Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit nach 1945.
Geschichte der Wissenschaft im Nationalsozialismus
Die Herkunft der Probleme lässt sich weit zurückverfolgen. Im April 1933 wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ eingeführt, das zur Entlassung regimekritischer Beamter führte. Ungefähr 20 % der Universitätsangestellten verloren ihre Stellen aufgrund dieses Gesetzes, was einen erheblichen Verlust für die deutsche Wissenschaft bedeutete.
Viele international anerkannte Wissenschaftler wie Albert Einstein, Max Born und andere emigrierten oder wurden entlassen. Ein Teil der verbleibenden Forscher unterstützte sogar das „Bekenntnis der Professoren zu Adolf Hitler“. Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 war ein weiterer Ausdruck der Unterstützung nationalsozialistischer Ziele und der Vertreibung unerwünschter Gelehrter. Bis 1945 waren mehr als zwei Drittel der Hochschullehrer Mitglied der NSDAP, was die Wissenschaft in Deutschland erheblich gefährdete.
Die nachfolgenden Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb, etwa die Einführung einer neuen Hochschulverfassung im Jahr 1935, schränkten die akademische Selbstverwaltung drastisch ein. Institutionen wie die Forschungsgemeinschaft „Ahnenerbe“ wurden gegründet, um nationale Ideologien wissenschaftlich zu untermauern. Trotz dieser Entwicklungen behielten die bestehenden Hochschulen und Forschungsinstitute ihren Einfluss im wissenschaftlichen Leben, während die neuen NS-Institutionen nicht den gewünschten Einfluss erzielten.
Die Auseinandersetzung mit dieser schwierigen Geschichte ist heute deshalb von zentraler Bedeutung. Die Initiativen zur Erforschung der Rolle von Wissenschaft und Forschung während des Nationalsozialismus sind essenziell für unser Verständnis der Wissenschaft als gesellschaftliches Unternehmen und deren Verantwortung im Historiendiskurs.
Für weitere Informationen können die Berichte von Bielefeld University und BAM konsultiert werden.