
Die Missstände im deutschen Turnsport sind in den Fokus gerückt, nachdem die Staatsanwaltschaft Stuttgart umfangreiche Ermittlungen aufgenommen hat. Grund für die Ermittlungen sind mutmaßliche Missbrauchsvorwürfe, die insbesondere das Kunstturnforum (KTF) in Stuttgart betreffen. LKA-Beamte haben am Donnerstag, laut Stuttgarter Nachrichten, mehrere Objekte durchsucht, darunter auch der Bundesstützpunkt in Mannheim.
Im Rahmen der Ermittlungen steht der Verdacht der Nötigung in mehreren Fällen im Raum. Es ist bemerkenswert, dass die Ermittlungen nicht infolge einer Anzeige, sondern von Amts wegen eingeleitet wurden. Dies deutet darauf hin, dass die zuständigen Behörden bereits über Hinweise verfügen, die auf schwerwiegende Vorfälle im deutschen Turnsport hinweisen.
Ermittlungen und Freistellungen
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt speziell gegen zwei Turn-Trainerinnen wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung. Der Vorfall, auf den sich die Ermittlungen beziehen, soll bereits im November 2016 stattgefunden haben. Im Zuge dieser Untersuchungen wurde auch Nachwuchs-Bundestrainerin Claudia Schunk, die über zehn Jahre am Stützpunkt in Mannheim tätig war, freigestellt. Sie darf für mindestens vier Wochen keine Lehrgänge und Wettkämpfe leiten. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) betont, dass die Freistellung nicht das Ergebnis der laufenden Klärungen vorwegnehmen soll. Die Ermittlungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen, wie tz.de berichtet.
Die Vorwürfe und die öffentliche Aufmerksamkeit um den deutschen Turnsport erinnern an den Turnskandal in der Schweiz, bei dem mehrere Athletinnen systematische Missstände und Missbrauch offenbarten. Ethik-Professorin Natalie Barker-Ruchti, die bei der Aufklärung des Skandals in der Schweiz eine entscheidende Rolle spielte, weist darauf hin, dass die neuen Vorwürfe in Deutschland ein Déjà-Vu für sie sind. Sie spricht von einem Wandel im Frauenturnen, das sich von einem relevanten Frauensport hin zu einer Kindersportart mit hohem Leistungsdruck verändert hat.
Systematische Probleme und politische Reaktionen
Barker-Ruchti macht auf die Anfälligkeit junger Turnerinnen für Missbrauch aufmerksam, die durch ein stark verankertes Körperideal und den Druck, schnell zu Höchstleistungen zu gelangen, begünstigt wird. Eltern sollten die Berichte ihrer Kinder ernst nehmen und Missstände ansprechen. In der Schweiz führte der Skandal zu politischen Forderungen nach unabhängigen Untersuchungen und einer Anlaufstelle für Misshandlungen im Sport. Diese Forderungen sind auch für Deutschland relevant, da viele der gleichen Probleme existieren.
Die Schaffung eines Ethik-Kompasses im Sport, der Vorfälle kategorisch bewertet, wird als notwendig erachtet, um Missstände aufzuklären und entsprechende Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Barker-Ruchti fordert mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen, um Veränderungen zu ermöglichen. Viele dieser Themen spiegeln sich in den laufenden Ermittlungen im deutschen Turnsport wider, was die Notwendigkeit einer transparenten und fundierten Auseinandersetzung mit den Vorwürfen unterstreicht.