
Am 27. März 2025 eröffnete Gregor Gysi die konstituierende Sitzung des 21. Deutschen Bundestages als Alterspräsident. Diese außergewöhnliche Rolle bekam Gysi durch eine Regeländerung im Jahr 2017 und nicht aufgrund seines Alters. Sein Auftreten als Redner hatte weitreichende Auswirkungen auf die politische Debatte und führte zu gemischten Reaktionen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der parlamentarischen Reihen.
Gysi, der als letzter Vorsitzender der SED galt, nutzte die Gelegenheit, um die DDR in einem positiven Licht darzustellen. 35 Jahre nach dem Fall der Mauer sprach er nicht über die dunklen Kapitel der Geschichte, wie die Mauertoten oder das Leid der politischen Gefangenen. Vielmehr lobte er beispielsweise die Kindergärten der DDR und kritisierte die westliche Demokratie, was zahlreiche Medien, einschließlich Die Welt und der Neue Zürcher Zeitung, als problematisch ansahen.
Ein umstrittener Auftritt
Während seiner Rede prangerte Gysi die als ungerecht empfundene Wahrnehmung der Ostdeutschen an. Er stellte sie als „gekränkt“ dar und beharrte darauf, dass die DDR Großes geleistet habe. Die AfD-Fraktion reagierte mit Protesten und Vorwürfen, Gysi als Verteter einer „Mauerschützen-Partei“ zu betrachten. Bernd Baumann von der AfD erhob Vorwürfe gegen ihn und kritisierte die Regeländerung, die es Gysi ermöglichte, das Rednerpult zu betreten und nicht Alexander Gauland.
Ein auffälliger Aspekt in Gysis Rede war sein Lob für Karl Marx, den er als bedeutende Figur in der deutschen Geschichte sah. Dabei stellte Gysi auch die Forderung auf, eine deutsche Universität nach Marx zu benennen. Dies führte zu gemischten Reaktionen, da Marx in kritischen Kontexten als Antisemit, Rassist und Fanatiker bezeichnet wurde. Gysi verwies auf Zitate von Marx, um seine Ansichten zu untermauern, was teilweise auf Zustimmung in den eigenen Reihen stieß, aber in anderen Parteien größtenteils auf Desinteresse oder Ablehnung traf.
Politische Dynamik im Bundestag
Julia Klöckner von der CDU wurde zur Präsidentin des Bundestages gewählt, und die Wahl zur Präsidentin fand mit 382 von 622 Stimmen eine klare Mehrheit. Vier Stellvertreter wurden ebenfalls gewählt, wobei Andrea Lindholz (CSU), Josephine Ortleb (SPD), Omid Nouripour (Grüne) und Bodo Ramelow (Linke) die Positionen einnahmen. Die Bundestagssitzung wurde von Stille während Gysis Rede begleitet, was bemerkenswert war, da keine Ordnungsrufe oder Zwischenrufe von anderen Parteien erfolgt sind.
Gysi behielt jedoch nicht nur die Diskussion um die DDR und Marx im Fokus, sondern kritisierte auch die Rüstungsindustrie und kommentierte die anhaltenden Konflikte im Israel-Palästina-Konflikt. Sein Auftritt war ein deutliches Zeichen für den Wandel innerhalb des Bundestages, wo sich Ost- und Westdeutsche nach der Wiedervereinigung immer noch in ihrer Wahrnehmung der Vergangenheit und der zukünftigen Richtung der deutschen Politik unterscheiden.
In einer politischen Landschaft, in der die Diskussion um die Wahrheit der Geschichte und deren Umgang eine zentrale Rolle spielt, wird Gysis Rede als ein weiterer gewichtiger Beitrag in diesem fortwährenden Dialog zwischen den ehemaligen Bürgern der DDR und der BRD angesehen. Die Diskussion über den Umgang mit der Vergangenheit nimmt damit auch im neuen Bundestag eine zentrale Stellung ein.