
Am Deutschen Theater Berlin inszeniert der Regisseur Schorsch Kamerun sein neues Stück „Große Gewinne Schwere Verluste“. Der Abend eröffnet mit einem eindrucksvollen Auftritt der Schauspielerin und dänischen Botschafterin Julischka Eichel, die lauthals „Lang lebe Grönland!“ ruft. Eichel, gekleidet in einem gestreiften Mantel und verziert mit Perlenketten, trifft damit den Nerv des Publikums, das begeistert reagiert. Der Abend wird von vielen als Diskurs über aktuelle gesellschaftliche Themen wahrgenommen.
„Große Gewinne Schwere Verluste“ beleuchtet schwerwiegende Themen wie Globalisierung und Digitalisierung, die Menschen einerseits isolieren, andererseits aber auch zu einer gemeinsamen Stärke vereinen können. Die Inszenierung enthält zahlreiche tagesaktuelle Meldungen, die vom Ensemble in unmittelbarer, frontal präsentierter Form dargeboten werden. Diese Herangehensweise könnte als Antwort auf den Diskurs von René Pollesch angesehen werden, doch fehlt es der Aufführung an dessen typischem Esprit und Witz. Dennoch präsentiert sich das Projekt als „Musiktheatraler Parcours für eine Welt, wie wir sie kannten“, wie faz.net feststellt.
Ein kreativer Prozess
Kamerun arbeitet nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit dem Komponisten PC Nackt und Mitgliedern des Ensembles. Im Rahmen dieses kreativen Prozesses übernimmt Kamerun selbst die Rolle eines Trainers, riskiert zusammen mit seinem Ensemble Auftritte, singt und gibt den Zuschauern Erklärungen zu den Inhalten des Stücks. Seine Auftritte variieren von informativ bis unterhaltsam, wobei er auch mal ein Bier genießt. Die Musik selbst wird als etwas „schwabbelig“ und „angestaubt“ beschrieben, was sich deutlich von punkigeren Klängen abhebt.
Das Bühnenbild, eine auffällige Kombination aus einer blauen Tartanbahn und einem Glashaus, das als Paketannahmestation dient, schafft eine interessante Kulisse. Die Charaktere des Stücks sind ebenso vielschichtig wie die Thematik: Eichel spielt eine Botschafterin und eine Stefanie, die ihren Job nobel verloren hat, während Manuel Harder in den Rollen des pensionierten James Bond und des ehemaligen Fußballers Toni Kroos auftritt. Felix Goeser verkörpert Hardy, der das Leben in seinem Oldtimer verbringt und eine Leidenschaft für Schallplatten hat. Natali Seelig gibt Janet, die von ihrer schwierigen Kindheit berichtet, während Mercy Dorcas Otieno als Influencerin Ayanda eine Plattform namens „Connection Point“ gegründet hat, um soziale Interaktion zu fördern.
Inhaltliche Schwerpunkte
Die Szenarien im Stück sind oft unverbunden. Es dominiert eine Mischung aus Deklamation und Gesang, jedoch fehlt es an schauspielerischem Spiel. Der Richardchor aus Berlin wird in die Inszenierung integriert, wird jedoch eher als sympathisch empfunden, als dass er sängerisch eine Steigerung der Veranstaltung bewirken könnte. Im Mittelpunkt der Themen stehen unter anderem der Berliner Kulturhaushalt, die Auseinandersetzung mit Woody Allens „The Purple Rose of Cairo“, Aspekte der deutschen Erinnerungskultur sowie moderne Debatten um Gendersternchen und die Seidenstraße.
Kamerun will mit dieser Inszenierung die Transformationen unserer Zeit erkunden, doch wird das Ergebnis von Seiten der Kritiker oftmals als reizlose „Betroffenheitsrevue“ bewertet. Die Auseinandersetzung mit diesen komplexen Themen spiegelt sich auch in weiteren Projekten wider, wie in der Inszenierung „Der diskrete Charme der Reduktion“ im Auftrag der Komischen Oper Berlin, die ebenfalls von Kamerun geleitet wird, und die in einem begehbaren Konzertformat die Distanz zwischen Bühne und Publikum aufhebt. taz.de hebt zudem die Dringlichkeit solcher Themen anlässlich des Klimawandels hervor, und erinnert an den Aufruf zur Entwicklung einer nachhaltigen Perspektive, wie sie im Essay „Irrweg der Menschheit“ von Aurelio Peccei und Alexander King angesprochen wird.
Die aktuelle Inszenierung ist somit Teil eines größeren Diskurses, der im digitalen Zeitalter und vor dem Hintergrund pandemischer Herausforderungen neue Wege des Theaters erforscht. Theater als „Interface-Effekt“ bringt dabei sowohl Publikums- als auch Performerelebnisse in eine neue Dimension und erfordert eine Auseinandersetzung mit der Zukunft der Bühne in einem sich verändernden Umfeld, das digital und analog in Einklang bringen möchte, wie deutschlandfunk.de ausführlich beleuchtet.