
Am 6. Februar 2025, genau zwei Jahre nach einem verheerenden Erdbeben, das Südosten der Türkei und Teile Syriens erschütterte, werden die Geschehnisse noch immer von den Überlebenden und Behörden stark beeinflusst. Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen, da sie auf zwei großen Kontinentalplatten liegt, die aneinandergrenzen. Das Hauptbeben, das 2023 eine Stärke von 7,7 erreichte, forderte über 3.000 Menschenleben; in der Türkei allein verzeichnete die Katastrophenschutzbehörde AFAD 1.762 Todesopfer. Die Abteilung berichtete zudem von mehr als 15.000 Verletzten und über 5.600 eingestürzten Gebäuden.
Kritiker der Erdoğan-Regierung weisen auf die mangelhafte Verantwortung und den nicht inklusiven Wiederaufbauprozess hin. In Kahramanmaras, dem Epizentrum des Bebens, stehen inzwischen neue vierstöckige Wohnhäuser. Präsident Erdoğan bezeichnete den Wiederaufbau als die „größte Baustelle der Welt“. Yunus Emre Kacamaz, Vorsitzender der Architektenkammer in Kahramanmaras, beschreibt den Wiederaufbau als schnell, was jedoch auch Fragen zur Qualität und Sicherheit aufwirft. Kacamaz selbst lebt noch in einem Container, da der Sitz der Architektenkammer abgerissen wurde, um Platz für neue Bauprojekte zu schaffen.
Kritik am Wiederaufbau
Trotz der schnellen Wiederherstellung der Wohnverhältnisse haben Stimmen in der Zivilgesellschaft Bedenken geäußert. Es wird argumentiert, dass die Regierung keine Verantwortung für die Katastrophe übernommen hat. Auch das Versprechen der Regierung, eine faire Wohnungspolitik zu gewährleisten, gerät ins Wanken. Einige Anwohner, wie Hanim aus Adiyaman, haben zwar eine neue, mietfreie Wohnung erhalten, fürchten aber die zukünftigen Mietkosten.
Demonstrationen haben in einigen betroffenen Gebieten, insbesondere in Hatay, an Intensität zugenommen. Tausende Menschen fordern Gerechtigkeit und eine Überprüfung des Wiederaufbauprozesses, der entscheidend für das Erreichen von Sicherheit und Stabilität ist. In Adiyaman ist die Große Moschee eingestürzt und historische Steine werden zur Rekonstruktion gesucht. Bischof Gregorios Melki Ürek beaufsichtigt den Wiederaufbau der syrisch-orthodoxen Kirche in der Region.
Wissenschaftliche Perspektive
Parallel dazu forschen Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt im Rahmen des Projekts „Build Back Better!“ über den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen. Der Projektleiter Professor Nicolai Hannig erläutert, dass lokale Kenntnis und Einbindung der betroffenen Bevölkerung für eine nachhaltige Hilfe essentiell sind. Dabei wird erkannt, dass die ärmsten Bevölkerungsschichten am meisten unter den Folgen von Erdbeben leiden und oft in den gefährdetsten Bereichen wohnen.
Das Trauma der Menschen, die vor erneuten Erdbeben Angst haben, bleibt bestehen, insbesondere in Istanbul, wo das Risiko zukünftiger Erdbeben als hoch eingestuft wird. Orhan Tatar, ein Vertreter von AFAD, meldet, dass in den nächsten Jahren 450.000 neue Häuser gebaut werden müssen, um die grundlegenden Wohnbedürfnisse zu decken.
Internationale Reaktionen
Die internationale Gemeinschaft hat ebenfalls reagiert. Hilfsorganisationen rufen zu Blut- und Sachspenden auf, während Länder wie Israel, Finnland und Griechenland humanitäre Hilfe anbieten. Dies geschieht trotz politischer Spannungen und der schwierigen Lage im syrischen Idlib, wo der Zugang zu staatlicher Nothilfe begrenzt ist.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Erdbebenmehrwert für die Region weit über physische Zerstörung hinausgeht. Es geht um die Wiederherstellung von Identität, Sicherheit und Gerechtigkeit in einem Land, das durch seine geographischen Gegebenheiten immer wieder bedroht ist.
Für weitere Informationen über die Erdbeben und deren Folgen in der Türkei können Sie die Artikel von Welt und Upday sowie zusätzliches wissenschaftliches Material von Hessenschau einsehen.