
Im Rahmen der diesjährigen Dissertationspreise der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) wurden herausragende wissenschaftliche Arbeiten von Forschenden der Universität Kassel ausgezeichnet. Die Preisträgerin Goda Klumbytė, Postdoktorandin im Fachgebiet Partizipative IT-Gestaltung, erhielt die Auszeichnung für ihre Dissertation mit dem Titel „Learning Otherwise: Reconfiguring Computing with Feminist Epistemologies“, die mit summa cum laude bewertet wurde. In ihrer Forschung beschäftigt sich Klumbytė mit den Algorithmen des maschinellen Lernens und entwickelt innovative Ansätze für das Systemdesign, die auf feministischen Methodologien basieren. Ein zentraler Aspekt ihrer Arbeit ist die Analyse der Wissensarten und Perspektiven, die in die Gestaltung von maschinellen Lernsystemen einfließen. Durch ihre intersektionalen feministischen Ansätze zielt sie darauf ab, diese Systeme verantwortungsbewusster, inklusiver und kontextsensibler zu gestalten. Wie uni-kassel.de berichtet, erkennt Klumbytė damit die Notwendigkeit an, bestehende Paradigmen in der Informatik zu hinterfragen und neu zu gestalten.
Ein weiterer Preisträger ist Dr. Conrad Lluis, Postdoktorand im Fachgebiet Makrosoziologie, der für seine Dissertation „Hegemonie und sozialer Wandel. Indignados-Bewegung, Populismus und demokratische Praxis in Spanien, 2011–2016“ ausgezeichnet wurde. Auch seine Dissertation wurde mit summa cum laude bewertet. Lluis analysiert die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche, die während der Wirtschaftskrise in Spanien stattfanden. Mithilfe von Diskursanalysen, Interviews und teilnehmender Beobachtung verfolgt er die Dynamiken des sozialen Wandels und erweitert den Forschungsansatz namhafter Theoretiker wie Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Seine Arbeit liefert wertvolle Impulse für die Auseinandersetzung mit politischen Verwerfungen, die nicht nur in Spanien, sondern auch in Deutschland und anderen westlichen Ländern von Bedeutung sind.
Feministische Erkenntnistheorien im Fokus
Die Forschung von Klumbytė und Lluis ist Teil eines größeren Diskurses, der sich mit feministischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien beschäftigt. Die in dieser Disziplin verwurzelten Ansätze entstehen aus interdisziplinären Diskussionen, die entscheidend in der Philosophie und den Sozialwissenschaften verortet sind. Ein zentraler thematischer Aspekt dieser Theorien ist die Analyse des Einflusses von Geschlechternormen auf Wissende. Viele der aktuellen Entwicklungen und klassischen Texte zu diesem Thema sind im neuen Reader „Feministische Epistemologien“, herausgegeben von Katharina Hoppe und Frieder Vogelmann, zusammengefasst. Dieser Reader, der 2024 im Suhrkamp Verlag erscheint, bietet eine umfassende Analyse der Benachteiligung weiblicher und queerer Personen durch herrschende Wissensstrukturen. Wie frieder-vogelmann.net beschreibt, wird in dem Band auch das Potenzial alternativer epistemischer Begriffe und Praktiken diskutiert.
Diese Werke verdeutlichen, dass Wissen nicht geschlechtsneutral ist, sondern in historisch spezifische soziale Praktiken und Strukturen eingebettet. Zu den bekannten Autor:innen, deren Arbeiten in diesem Kontext beleuchtet werden, gehören Patricia Hill Collins, Sandra Harding und Donna Haraway. Ihre Beiträge ereichen oftmals das Ziel, epistemische Ungerechtigkeiten zu kritisieren und neue Wege für ein gerechtes Wissensverständnis aufzuzeigen. Die Kernthese, dass das Verständnis von Wissen stets von sozialen und kulturellen Kontexten abhängt, bildet den Ausgangspunkt für viele der eingehenden Analysen.