
Serbiens politisches System befindet sich in einem entscheidenden Wendepunkt. Präsident Aleksandar Vučić hat den 62-jährigen Medizinprofessor Djuro Macut mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Diese Entscheidung fällt in Zeiten massiver öffentlicher Unruhen und einer anhaltenden Protestbewegung, die seit dem tragischen Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad am 1. November 2024 aktiv ist. Bei diesem Unglück starben 16 Menschen, was eine Kaskade von Forderungen nach Systemreformen und einem Ende der Korruption auslöste, die die Regierung um Vučić umgibt. Diese Proteste, die von zahlreichen Bürgergruppen unterstützt werden, haben die politische Landschaft Serbiens seit Herbst 2023 nachhaltig verändert.
Macut, der als politischer Neuling gilt und bisher kaum öffentliche Bekanntheit erlangte, ist Endokrinologe und ordentlicher Professor an der medizinischen Fakultät in Belgrad. Seine Ernennung soll bis zum 18. April 2025 abgeschlossen sein, da das Parlament in dieser Frist die neue Regierung bestätigen muss. Andernfalls könnte Präsident Vučić gezwungen sein, vorgezogene Parlamentswahlen auszurufen. Vučić, der die Serbische Fortschrittliche Partei (SNS) anführt, betont, dass Macut die geeigneten „beruflichen und persönlichen Qualitäten“ für das Amt des Ministerpräsidenten mitbringt, obwohl er keinerlei politische Erfahrung vorweisen kann. Macut ist zudem Mitglied im Gründungsausschuss einer neuen politischen Bewegung, die den Namen „Bewegung für das Volk und den Staat“ trägt und Ende Juni offiziell gegründet werden soll.
Politische Unruhen und Korruptionsvorwürfe
Die Proteste, die durch den Vordach-Einsturz ausgelöst wurden, sind von der Forderung nach Ende der Korruption in der Regierung geprägt. Die Demonstrierenden, die Schätzungen zufolge bis zu 325.000 Menschen umfassen, fordern nicht nur rechtliche Reformen, sondern auch ein Ende des als autoritär wahrgenommenen Regimes von Vučić. Während die Proteste zunächst von Studierenden organisiert wurden, haben sie schnell breite Unterstützung aus allen Bevölkerungsschichten, auch von Landwirten und Kulturschaffenden, erhalten.
Laut Berichten haben in den letzten Monaten mehrere Regierungsmitglieder ihren Rücktritt erklärt, darunter auch der Bauminister Goran Vesić, der im Zuge der Proteste angeklagt wurde. Es wird vermutet, dass Gelder für Sanierungsarbeiten am Bahnhof verschwanden und die Vergabeverfahren intransparent waren, was die Wut der Öffentlichkeit weiter anstachelt. Einige Regierungsvertreter, einschließlich Vučić, machen ausländische Geheimdienste verantwortlich für die Protestbewegung, was jedoch ohne konkrete Beweise bleibt.
Die politische Zukunft Serbiens
Die Zustimmung des Parlaments zur neuen Regierung unter Djuro Macut gilt als gesichert, wobei die SNS mit 153 von 250 Sitzen eine komfortable Mehrheit hat. Macut, der in der Vergangenheit bereits als Unterstützer Vučićs auftrat, könnte durch seine neue Position die anhaltenden Proteste entweder Eindämmen oder die politische Krise weiter verschärfen. Die nächsten Schritte der Regierung und die Reaktion auf die öffentliche Unruhe werden entscheidend sein für die Stabilität des Landes und die Zukunft der politischen Landschaft in Serbien.
Die anhaltenden Proteste und die neu gebildete Regierung stehen somit in einem spannungsgeladenen Verhältnis zueinander, wobei sich die Frage aufdrängt, ob Macut die Erwartungen der Bürger erfüllen kann, oder ob die Unruhen in eine neue Phase der politischen Instabilität münden werden. Die kommenden Wochen und Monate könnten für Serbien von enormer Bedeutung sein.
Für weitergehende Informationen über die aktuellen politischen Entwicklungen in Serbien, können Sie t-online.de, orf.at und bpb.de besuchen.