
Das Interesse an der eigenen Familiengeschichte wächst stetig, besonders in einer Zeit des Wandels und der Veränderung. Laut Ostsee Zeitung sind Filme, Serien und Bücher über Familiengeschichten stark im Trend. Werke wie „Downton Abbey“ oder „Buddenbrooks“ ziehen nicht nur die Zuschauer in ihren Bann, sondern wecken auch den Wunsch, die eigene Familientradition zu erkunden.
Wendepunkte im Leben, wie das Ausziehen von Eltern ins Altersheim oder deren Tod, können das Bedürfnis nach Informationen über Vorfahren verstärken. Rolf-Ulrich Kunze, Professor für Neuere und Neuste Geschichte, betont, dass dieses Bedürfnis eng mit dem sozialen Standort der Menschen verknüpft ist. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte kann sowohl stabilisierend als auch tröstend wirken, besonders in Krisenzeiten.
Die Herausforderungen der Ahnenforschung
Trotz der positiven Aspekte sieht Kunze die Fixierung auf Abstammung kritisch, insbesondere im Hinblick auf den Missbrauch der Ahnenforschung im Nationalsozialismus zur Erbringung des ‚Ariernachweises‘. Diese Vergangenheit wirkt bis heute nach: Der Nationalsozialismus hinterlässt Spuren in fast jeder deutschen Familie, wie eine Umfrage der Universität Bielefeld zeigt. Die Ergebnisse zeigen, dass über 90% der Befragten Dokumentar- und Spielfilme als Einstiegsquelle in das Thema nutzen, während 50% NS-Gedenkstätten besucht haben.
Beim Thema eigene Familiengeschichte gibt es oft Diskrepanzen. Geringes Wissen über Täter und ein überwältigendes Interesse an den Geschichten von Opfern und Helfern sind vorherrschend. Zwei Drittel der Befragten fanden es wichtig, sich mit der NS-Vergangenheit ihrer Familien auseinanderzusetzen, während gleichzeitig in vielen Familien wenig darüber gesprochen wird. Jonas Rees, Projektleiter der Studie, weist auf eine Umdeutung und Verdrängung in den Familiennarrativen hin.
Recherchewerkzeuge und -möglichkeiten
Um die eigene Familiengeschichte zu erforschen, sind Archive und Online-Datenbanken unerlässlich. Die Bielefelder Umfrage zeigt, dass viele Menschen sich online informieren. Wichtige Anlaufstellen sind dabei das Bundesarchiv und der International Tracing Service, welche umfangreiche Dokumente zur NS-Verfolgung und zu Überlebenden bieten. Das Bundesarchiv ermöglicht auch die Suche nach Informationen über Familienmitglieder, die in hohen Behörden oder im Justizdienst tätig waren und bietet Platz für Aufzeichnungen zu verschiedenen Zeiträumen.
Für eine effektive Recherche im Bundesarchiv sind folgende Informationen notwendig: Name, Vorname und Geburtsdatum. Die Suche vor Ort ist kostenlos, und Informationen können an die zuständige Abteilung per E-Mail oder Post geschickt werden. Dennoch ist es wichtig zu beachten, dass vollständige Biografien wegen lückenhafter Überlieferungen selten sind, was die Herausforderungen der Ahnenforschung unterstreicht.
Die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte kann sowohl aufschlussreiche Aha-Erlebnisse bringen, als auch Schocks liefern, wenn Konflikte oder Traumata aufgedeckt werden. Daher empfiehlt Kunze, sich mit lebenden Verwandten und Nachbarn auszutauschen und dabei sensibel mit alten Wunden umzugehen. Subjektive Erzählungen sollten stets mit regionaler Geschichte und vorhandenen Dokumenten abgeglichen werden, um ein vollständiges Bild zu erhalten.
Durch diesen sorgfältigen und respektvollen Umgang mit der eigenen Geschichte können Familienforschung und Ahnenforschung zu einer wichtigen, emotionalen Reise in die Vergangenheit werden, die nicht nur die eigene Identität stärkt, sondern auch zum besseren Verständnis der eigenen Wurzeln beiträgt.