
Inmitten wachsender geopolitischer Spannungen hat der Historiker Sönke Neitzel eindringlich vor dem „letzten Friedenssommer“ für Deutschland gewarnt. Im Interview mit der Bild äußert er die Befürchtung, dass ein neuer russischer Angriff die Sicherheit in Europa erheblich gefährden könnte. Die Situation wird durch ein großes Manöver der russischen Streitkräfte in Belarus weiter verschärft, das Ängste in den baltischen Staaten auslöst. Neitzel betont, dass die NATO-Bündnisverpflichtungen geschwächt sind und fordert Europa auf, sich auf weitere Eskalationen vorzubereiten.
Klemens Fischer, Professor für Internationale Beziehungen, zeigt sich kritisch gegenüber Neitzels Einschätzung. Er weist darauf hin, dass die russische Armee derzeit nicht in der Lage ist, eine neue Front zu eröffnen, obwohl das sogenannte „Zapad-Manöver“ in Belarus militärische Großübungen umfasst, die einige westliche Beobachter als potenzielle Bedrohung ansehen, insbesondere im Hinblick auf die baltischen Staaten. Laut Fischer ist es entscheidend, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit stärkt.
Militärische Übungen als potenzielle Bedrohung
Alle zwei Jahre führt Russland in Zusammenarbeit mit Belarus das strategische Manöver „Zapad“ durch, bei dem sich die Militärangehörigen nahe der Ostsee und in der Region Kaliningrad versammeln. Analysten des Royal United Services Institute (RUSI) bewerten diese Übungen unterschiedlich. Während einige sie als gefährlich für die EU und die NATO einstufen, sieht Belarus die Übungen nicht als Bedrohung an. Dennoch warnen litauische Beobachter, dass sie als vorbereitende Maßnahmen für eine Offensive auf das Baltikum interpretiert werden könnten.
„Zapad-2025“ wird voraussichtlich etwa 13.000 russische Soldaten umfassen und ist als ein strategisches Statement in der sich verändernden Sicherheitsarchitektur Osteuropas zu verstehen. Dies könnte auch das hohe Bedrohungspotenzial unterstreichen, das Dariusz Materniak ausstrahlt, indem er Belarus als Konfliktpartei sieht. Bei diesen Übungen werden nicht nur Militärstrategien geplant, sondern auch eine Integration strategischer und taktischer Raketensysteme betont.
Verhandlungen und geopolitische Herausforderungen
In der aktuellen sicherheitspolitischen Landschaft verlaufen die Verhandlungen zwischen amerikanischen und russischen Vertretern in Saudi-Arabien auf der Suche nach einer Waffenruhe. Die Ukraine hat einem Vorschlag für eine 30-tägige Waffenruhe zugestimmt, allerdings unter Vorbedingungen von Putin. Fischer beschreibt die Verhandlungsphasen als eine komplexe Choreografie, die Vorbereitung, Verhandlung und Umsetzung umfasst, wobei momentan die Vorbereitungsphase entscheidend ist.
Die NATO-Verteidigungsminister erörterten am 15. Februar 2024 Herausforderungen im Hinblick auf Hilfen für die Ukraine sowie die eigene Verteidigungsfähigkeit. Dabei sind Bedenken über mögliche Probleme bei der konventionellen Verteidigung in Europa, insbesondere im Falle eines Rückzugs der USA, laut Tagesschau aufgekommen. Trotz steigender Ausgaben für Verteidigung bleiben europäische Streitkräfte in der Koordination des Beschaffungswesens häufig hinter den Erwartungen zurück.
Im Hinblick auf die Waffenhilfe für die Ukraine bleibt ungewiss, wann die USA die zugesagten 60 Milliarden Dollar freigeben werden. Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin warnt, dass das amerikanische Engagement in Europa schwinden könnte, was die Sicherheitslage weiter destabilisieren würde. Diese Entwicklungen werfen einen Schatten auf die Zukunft Europas und die Glaubwürdigkeit der NATO.
Während die Ängste vor einem möglichen Krieg zunehmen, bleibt die Frage, wie sich die sicherheitspolitische Landschaft in den kommenden Monaten entwickeln wird.