
Die Festnahme von Ekrem İmamoğlu, dem Bürgermeister von Istanbul, hat in der Türkei erhebliche politische und wirtschaftliche Erschütterungen verursacht. Türkischer Justizminister Yilmaz Tunç kritisierte die Festnahme wegen Terrorpropaganda und wandte sich in seiner Kritik explizit gegen In- und Auslands-Kritiker, jedoch nicht gegen die Ermittler.[FAZ] İmamoğlus Bauunternehmen wurde zudem konfisziert, was in der Bevölkerung zu Protesten führte. Diese Demonstrationen sind ein Ausdruck des Unmuts über den Umgang mit demokratischen Regeln und Institutionen in der Türkei.
Die Reaktionen auf die Festnahme waren dramatisch. Die türkischen Finanzmärkte erlebten einen Einbruch. Der Aktienindex Borsa Istanbul fiel um fast 7 %, was den größten Rückgang seit sieben Monaten darstellt. Auch der Bankenindex stürzte um mehr als 9 %, während die Türkische Lira auf über 40 Lira für einen US-Dollar fiel und damit auf ein Rekordtief.[Tagesschau] Dies führte zu einem Anstieg des Lira-Kurses um knapp 12 %, was das größte Plus seit drei Jahren darstellt. Trotz dieser kurzfristigen Stabilisierung bleibt der Druck auf die türkischen Vermögenswerte hoch.
Politische Unsicherheit und wirtschaftliche Folgen
Die Festnahme von İmamoğlu, einem bedeutenden Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, erfolgt zu einem kritischen Zeitpunkt. Kurz bevor ein Haftbefehl erlassen wurde, war İmamoğlu als möglicher Präsidentschaftskandidat im Gespräch. Die politische Unsicherheit hat ausländische Anleger dazu veranlasst, sich zurückzuziehen, was die Talfahrt der Börsen voraussichtlich weiter anhalten wird.
Erdoğan agiert momentan aus einer gewissen Stärke heraus, da die PKK sich selbst aufgelöst hat, und das Sturz von Assads Regime in Syrien hat Ankaras Rolle als Regionalmacht gestärkt. Dennoch zeigt die aktuelle makroökonomische Lage ein düsteres Bild: Die Inflation liegt bei 39 % und die Leitzinsen bei 42,5 %.[FAZ] Bürger klagen über steigende Lebenshaltungskosten und knappe Einkommen, was die Unzufriedenheit in der Bevölkerung verstärkt.
Die Rolle der EU und mögliche Perspektiven
Die Europäische Union steht vor der Herausforderung, ihre Beziehungen zur Türkei neu zu bewerten. Bereits 2022 warnte das Europäische Parlament vor der Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, solange keine signifikanten Fortschritte bei den EU-bezogenen Reformen erkennbar sind.[Europarl] Die Türkei hat in den letzten Jahren von ihren Versprechen im Beitrittsprozess abgewichen und ist wegen der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie stark in der Kritik.
Die EU könnte jedoch in Erwägung ziehen, mögliche Angebote an Erdoğan zu unterbreiten, wie beispielsweise eine Vertiefung der Zollunion, Energieagenden und eine Lockerung der Visavergabe. Trotz der bestehenden Spannungen bleibt die Türkei ein wichtiger Wirtschaftsstandort mit einem wachsenden technologischen Potenzial. Es ist unerlässlich, dass die EU die geopolitische Bedeutung der Türkei anerkennt, auch während die Türkei selbst interne Herausforderungen bewältigen muss.