
In Deutschland steht die Altersgrenze für Notare im Fokus eines juristischen Streits. Laut einer aktuellen Mitteilung von tagesschau.de müssen Notare spätestens mit 70 Jahren in den Ruhestand. Diese gesetzliche Regelung, verankert in § 47 Nr. 2 in Verbindung mit § 48a der Bundesnotarordnung, zielt darauf ab, den Beruf zu verjüngen und Platz für jüngere Bewerber zu schaffen. Doch ein prominenter Widersacher dieser Regelung ist Dietrich Hülsemann, ein 71-jähriger Jurist aus Dinslaken, der gegen die Altersgrenze klagt und als altersdiskriminierend empfindet.
Hülsemann argumentiert, dass die Regelung nicht nur seine Berufsfreiheit einschränkt, sondern auch die Notwendigkeit in den Vordergrund rückt, erfahrene Notare im Beruf zu halten, insbesondere angesichts des Nachwuchsmangels im Notariat. 2023 verlor er bereits vor dem Bundesgerichtshof (BGH), der die Altersgrenze bestätigte und die Entscheidung mit dem Bedarf an einem Generationenwechsel und Planungssicherheit für junge Bewerber begründete.
Verfassungsbeschwerde und gesellschaftliche Wahrnehmung
Nach dem BGH-Urteil hat Hülsemann eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Während der Verhandlung wurde auch die steigende Lebenserwartung angesprochen; Experten sind sich einig, dass 70 Jahre zunehmend nicht mehr als alt gilt. Hülsemann, der anführt, dass er fit genug sei, um weitere 10 bis 15 Jahre zu arbeiten, erhält Unterstützung von Mandanten, die auf seine Rückkehr als Notar hoffen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird in einigen Monaten erwartet.
Selbst wenn die Altersgrenze bestehen bleibt, könnte Hülsemann weiterhin als Anwalt arbeiten. Allerdings wirft dieser Fall auch größere Fragen über das Bild älterer Menschen in der Gesellschaft auf. Im Kontext der aktuellen Debatten zum Thema Altersdiskriminierung hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Studie vorgestellt. Diese zeigt, dass ein Drittel der Befragten der Meinung ist, ältere Menschen sollten „Platz machen“ für die jüngere Generation. Zudem befürworten 51% eine Altersgrenze für politische Ämter.
Ageismus und gesellschaftliche Klischees
Die Studie behandelt auch das Phänomen des Ageismus, der in Deutschland oft wenig bekannt ist, jedoch zu Diskriminierungen im Alltag und Berufsleben führt. Rund 15% der Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle beziehen sich auf Altersdiskriminierung. Ferda Ataman, die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, spricht von einer weitverbreiteten Klischee- und Stereotypisierung gegenüber älteren Menschen. In der Studiendatenbasis, die in einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung von 2000 Personen ab 16 Jahren erarbeitet wurde, stellt sich heraus, dass viele Befragte den Anteil der über 70-Jährigen in der Bevölkerung überschätzen: Die häufigste Schätzung liegt bei 30%, während der tatsächliche Anteil bei rund 18% liegt.
Ataman fordert daher eine stärkere Anerkennung der altersbedingten Diskriminierung im Rechtssystem, inklusive der Aufnahmewunsch des Begriffs „Lebensalter“ in Artikel 3 des Grundgesetzes. Diese Forderung könnte angesichts der aktuellen Diskussion um die Altersgrenze für Notare und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen umso mehr an Dringlichkeit gewinnen. Der Fall von Dietrich Hülsemann könnte somit nicht nur Auswirkungen auf seine persönliche Laufbahn haben, sondern auch auf die Wahrnehmung von älteren Menschen in einer sich wandelnden Gesellschaft.