
Moskau – In einem aktuellen Interview äußert Leo Gudkow, Leiter des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum in Russland, besorgniserregende Entwicklungen bezüglich der Einstellungen der Russen zur Ukraine und dem Einsatz von Atomwaffen. Gudkow beobachtet seit Beginn des Ukraine-Kriegs eine zunehmende Anti-West-Rhetorik und beschreibt die Menschen als kriegsmüde, jedoch auch von jeglichen Informationen abgeschottet. Zudem stellt er fest, dass der Ton in der Gesellschaft aggressiver wird und immer häufiger Forderungen laut werden, den Krieg bis zum Ende durchzuziehen, auch mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, wie Merkur berichtete.
Ein besorgniserregender Trend zeigt sich in einer Umfrage des Lewada-Zentrums, die eine Verdopplung der Toleranz gegenüber einem möglichen Atomwaffeneinsatz von 21 auf 39 Prozent feststellt. Diese Entwicklung wird von Gudkow als Teil einer „komplexen, verwirrten Haltung“ der Russen beschrieben. Trotz der eigenen Unzufriedenheit mit der Kriegssituation äußern die Menschen jedoch die Vorstellung, dass Frieden eine vollständige Kapitulation der Ukraine bedeuten sollte. In dem Kontext betont Gudkow, dass die Propaganda in Russland eine entscheidende Rolle spielt; „Die Propaganda funktioniert, so schrecklich es auch ist“, so Gudkow weiter.
Veränderte Wahrnehmung Deutschlands
In den letzten Jahren haben sich die Ansichten der Russen gegenüber Deutschland drastisch verschlechtert. Laut einer Erhebung des Lewada-Zentrums geben mittlerweile 62 Prozent der Russen an, ein schlechtes oder eher schlechtes Verhältnis zu Deutschland zu haben. Vor wenigen Jahren betrachteten noch ähnlich viele Menschen die Beziehungen als positiv. Gudkow leitet aus diesen Antworten eine verstärkte antideutsche Propaganda ab, die zeigt, dass Deutschland heute als feindlicher empfunden wird als die Ukraine und Polen. Parallel dazu stellt er fest, dass dennoch 39 Prozent der Befragten versuchen, freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland als möglich in Betracht zu ziehen, während 40 Prozent sich solche Beziehungen wünschen, auch wenn sie für unwahrscheinlich gehalten werden.
Hinsichtlich der militärischen Rhetorik Putin und seiner Verbündeten versichert Gudkow, dass sich die Haltung vieler Russen zu aggressiven militärischen Gesten zugunsten einer Machtdemonstration verändert hat. Diese Veränderungen verdeutlichen, wie sich die öffentliche Meinung in Russland während des Ukraine-Kriegs gewandelt hat, und wie tief die Propaganda in der Gesellschaft verwurzelt ist. Die Äußerungen Putins in Bezug auf die neuen Mittelstreckenraketen und dessen Drohungen werden von vielen Russen mit Genugtuung wahrgenommen, was die imperialistische und militaristische Einstellung widerspiegelt, die in der Gesellschaft vorherrscht, wie Spiegel berichtete.