
Der Aufstieg der AfD hat in den letzten Jahren zahlreiche Debatten in Deutschland ausgelöst, oftmals fokussiert auf die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Der Schriftsteller Lukas Rietzschel, der in Görlitz lebt, stellt jedoch klar, dass dieses Phänomen nicht nur ein spezifisches ostdeutsches Problem darstellt. In einem Interview thematisiert er die unzureichenden Angebote der etablierten Mitte-Politik, vertreten durch Parteien wie die CDU und SPD, die es versäumt haben, jungen Wählern adäquate Perspektiven zu bieten. Rietzschel richtet den Blick auf den Rückgang der Direktmandate, die die CDU im Osten erlangt. Ein signifikanter Wandel, der die politische Landschaft in Deutschland nachhaltig beeinflusst.
Die AfD hat in den neuen Bundesländern, zu denen auch Sachsen gehört, einen eigenen Höhepunkt erreicht, wo sie durchschnittlich 30 Prozent der Stimmen erhielt. Dies ist jedoch nicht ausreichend, um bundesweit die 20 Prozent-Marke zu überschreiten. Spannend wird es, wenn man die Wahlkreise betrachtet: In dem von Friedrich Merz war die AfD mit 17 Prozent die zweitstärkste Kraft bei den Zweitstimmen. Rietzschel warnt davor, diese Wahlergebnisse isoliert zu betrachten: „Es handelt sich nicht nur um ein Ost- oder deutsches, sondern um ein europäisches und globales Thema,“ hebt er hervor.
Die Wählerschaft der AfD: Mehr als nur Protestwähler
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung ist die AfD die erste erfolgreiche Neugründung im Mitte-Rechts-Spektrum des deutschen Parteiensystems und hat die Etablierungsgeschwindigkeit anderer Parteien, wie die Grünen und die PDS/Linke, übertroffen. Bei Landtagswahlen hat die AfD in allen Bundesländern seit Mitte 2014 die Fünfprozenthürde überschritten. Dies zeugt von einem starken Trend, der die bestehenden politischen Strukturen herausfordert.
Die Wählerschaft besteht nicht nur aus Protestwählern, sondern Rietzschel sieht verstärkte Überzeugungen hinter den Stimmen für die AfD. Diese Wähler repräsentieren eine gesellschaftliche Schicht, die in ländlichen Regionen lebt und von demografischem Wandel sowie wirtschaftlichem Rückgang betroffen ist. Fast zwei Drittel der AfD-Wähler sind männlich, was in den vergangenen Wahlen ein deutliches Muster zeigt. Das Wahlverhalten ist dabei nicht monokausal erklärbar; Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder ein höherer Ausländeranteil führen nicht zwangsläufig zu einer Wahlentscheidung für die AfD.
Demografische Veränderungen und politische Reaktionen
Ein weiterer Aspekt, den Rietzschel anspricht, ist der demografische Wandel, der dazu führt, dass junge Menschen in der Politik oft kein Gehör finden. Während die AfD und die Linke von der Unzufriedenheit dieser Wählerschaft profitieren, haben die Mitte-Politiker nicht genügend alternative Angebote entwickelt. Die Unzufriedenheit mit sozialen Themen wie Rente, Bildung und Pflege wird von vielen Wählern thematisiert, und der Aufstieg des Rechtspopulismus kann nicht ignoriert werden, da er oft mit der Anpassung konservativer Positionen einhergeht.
Die Daten zeigen, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 12,6 Prozent der Stimmen erhalten konnte, was fast dem Dreifachen des bisherigen beste Ergebnisses einer Rechtsaußenpartei (NPD) entspricht. Auch die Wahlbeteiligung ist angestiegen, was auf ein wachsendes politisches Interesse hinweist. Rietzschel kritisiert zudem die Sprache und Konzepte linker Parteien, die seiner Meinung nach an Substanz verlieren. Er plädiert dafür, die sozialen Fragen in den Vordergrund zu rücken und ein tieferes Verständnis für strukturelle Probleme wie Umverteilung und Kapitalismus zu entwickeln.
Rietzschel warnt abschließend, dass die wachsende Zustimmung für die AfD und ähnliche Parteien nicht nur auf lokalen oder nationalen Entwicklungen basiert, sondern Teil eines größeren europäischen Phänomens ist. Die Radikal rechten Parteien gewinnen in vielen Ländern, was eine ernsthafte Herausforderung für demokratische Institutionen darstellt. Wie die Bundeszentrale für politische Bildung bemerkte, stellen radikal rechte Parteien mittlerweile in mehreren EU-Ländern die Regierung oder sind Teil einer Koalition. Elektrodemokratische Umfragen zeigen einen kontinuierlichen Anstieg ihrer Zustimmung. Daraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit für etablierte Parteien, sich den Veränderungen in der Wählerschaft offen und kritisch zu stellen und ein nachhaltiges politisches Angebot zu entwickeln.