
Prof. Dr. Lesia Horodenko, eine geflüchtete Kommunikationswissenschaftlerin aus der Ukraine, erhält heute eine bedeutende Zusatzförderung von knapp 220.000 Euro für ihr Forschungsprojekt. Diese Förderung ist Teil des DFG-Projekts „Verantwortliche Terrorismusberichterstattung“, das seit 2017 am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Wessler durchgeführt wird. In ihrem Projekt untersucht Horodenko, wie russische, weißrussische und ukrainische Medien den Begriff „Terrorismus“ nutzen und welche Narrative die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen. Ihre Flucht aus der Ukraine ereignete sich im Juli 2024, nachdem sie zuvor Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Kiew war.
Ein zentrales Anliegen der Forschung ist das Verständnis, wie der Begriff „Terrorismus“ in unterschiedlichen Kontexten interpretiert wird. So bezeichnet beispielsweise die russische Regierung ukrainische Truppen als „Terroristen“. Im Gegensatz dazu verwenden oppositionelle russische Medien, die in Ländern wie Lettland oder Polen operieren, differenzierte Begriffe, um die Situation zu beschreiben. Die Studie zielt darauf ab, Empfehlungen für Journalist*innen und Medien zu entwickeln, um einen verantwortungsvolleren Umgang mit terroristischen Themen zu fördern.
Fokus der Forschung
Das Gesamtprojekt hat mehrere Schwerpunkte. Es untersucht die Tonalität, den Faktencheck und die Nutzung von Bildern sowie Videos in der Berichterstattung über Terroranschläge. Die erste Phase der Untersuchung umfasste eine vergleichende Analyse der Berichterstattung über Terrorismus in unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen. In der nun gestarteten zweiten Phase, die bis 2027 andauern soll, liegt der Fokus auf dem Zusammenspiel von Texten und Bildern sowie der Wirksamkeit der in der ersten Phase entwickelten Empfehlungen.
In diesen Kontext passt auch die Forschung von Wolfgang Frindte, Nicole Haußecker und Jens Jirschitzka, die sich mit der medialen Konstruktion von Terrorismus sowohl vor als auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beschäftigt haben. Laut der Bundesstiftung für Friedensforschung betrachtet das Projekt Terrorismus als eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit, die sowohl soziale als auch politische Dimensionen hat. Die Bedeutung der Medien in der Darstellung dieser Bedrohung wird als zentral angesehen.
Medienanalyse und Framing
Die Bedeutung der medialen Berichterstattung über Terrorismus zeigt sich auch in zahlreichen Publikationen, darunter die umfassenden Arbeiten von Frindte und Haußecker, die den Einfluss von Medienberichterstattung auf das individuelle Terrorverständnis thematisieren. Beispielhaft wurden in einer quantitativen Inhaltsanalyse die Berichterstattung über den Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 untersucht. Hierbei konnten signifikante Unterschiede zwischen der Qualitätszeitung „der Standard“ und dem Boulevardblatt „die Kronenzeitung“ festgestellt werden. Während beide Medien anfangs die Reaktionen auf den Anschlag und die Bedrohung thematisierten, verschob sich der Fokus schnell auf die Konsequenzen des Anschlags und die strafrechtlichen Maßnahmen.
Die Forschung beabsichtigt, soziale Umweltbedingungen des Terrorismus zu eruieren und die Konstruktion über das Phänomen in der Bevölkerung zu analysieren. Es werden auch breitere Studien über die Gefahren von Terrorismus und die potenziellen Reaktionen der Gesellschaft geplant. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf den Einstellungen innerhalb der Bevölkerung, insbesondere in Bezug auf Muslime.
Diese umfassenden und facettenreichen Analysen bieten wertvolle Einblicke in die komplexen Zusammenhänge zwischen medialer Berichterstattung, öffentlicher Wahrnehmung und den verschiedenen Interpretationen von Terrorismus. Die Ergebnisse dieser Forschungsprojekte sind entscheidend für die Entwicklung eines verantwortungsvolleren Medienumgangs mit terroristischen Themen, was letztlich zu einer sachlicheren Wahrnehmung bei den Mediennutzer*innen führen könnte.